Bonn - An der Reuterbrücke, die auf den Bundeskanzlerplatz
führt, ein seltsamer Anblick: Palästinensische Demonstranten mit
Spruchtafeln. Ist ihnen entgangen, dass hier kein Politiker mehr
vorbeikommt?
Gegenüber dem "Haus der Geschichte", wo die Bonner Republik
konserviert ist, Baulücken. Mehrere Häuser sind abgerissen. Übrig
geblieben aber leer sind noch die Landesvertretungen. Die von
Baden-Württemberg möchte die Stadt Bonn kaufen, um hier die drei
Kilometer entfernt angesiedelte Depandance des Deutschen Museums
München unterzubringen. Die attraktive Bonner "Museumsmeile" wäre
abgerundet. Doch die Schwaben pokern. Bange blickt man nach Berlin:
Wie wird es künftig mit der Nach-Hauptstadtförderung aussehen?
In der Dahlmannstraße, vor dem ARD-Studio, treffe ich Jürgen
Kramer vom WDR. Sie sind jetzt nur noch zu zweit in dem großen
gelben Kasten. "Hier ist nichts mehr los", sagt er. "Das kannst du
alles vergessen." Kurz darauf läuft mir Helmut Hohrmann vom
Deutschlandradio über den Weg. Er hält das etwa 70köpfige Bonner
Korps der Bundespressekonferenz zusammen. "Es ist zwar ruhiger
geworden, aber es passiert noch immer eine Menge", sagt er. "Ich
kann den Politikern nur raten, hier Pressekonferenzen zu
Spezialthemen zu machen. In Berlin gehen sie doch nur unter." Im
Pressehaus arbeiten noch in den beiden unteren Etagen Journalisten.
Ihr stiller Triumph: Gerhard Schröder und seine Doris kamen dieses
Mal zum Bonner und nicht zum Berliner Presseball. Es war wie zu
alten Zeiten.
Ein paar Schritte weiter die ehemalige Hamburg-Vertretung, im
Sommer punktgenau zum Umzug nach Berlin gut verkauft. Die Hamburger
Insignien sind weg, die Brahms-Büste am Eingang ebenfalls, und ein
Schuttcontainer verrät: Hier wird umgebaut. Gegenüber wächst der 500
Meter lange "Schürmann-Bau" in die Höhe. In zwei Jahren soll von
hier die "Deutsche Welle" in alle Welt senden. Daneben Bonns derzeit
größte und höchste Baustelle: Der Post-Tower, die künftige Zentrale
der Post AG. Bonn baut.
Unten am Rhein stehen immer noch die Container der Ladenzeile.
Die Parlamentsbuchhandlung macht gerade Totalausverkauf. Dafür hat
Lebensmittel-Kaspers seine Imbiss-Ecke ausgebaut. Ich traue meinen
Augen nicht: Sitzt da doch Horst Ehmke, einst Kanzleramtsminister,
und verzehrt eine Bratwurst. "Ich habe einen Termin beim
Bundeshausfriseur", sagt er, als sei alles wie immer.
Im alten Plenarsaal aber summt und brummt es wieder. Den hat der
Bund der Stadt Bonn geschenkt, und nun vermietet ihn die
Maritim-Hotelgruppe zu 25 000 Mark am Tag für Kongresse. Mit Erfolg:
Gerade tagt dort die Welt-Wüstenkonferenz. Im Foyer treffe ich Erich
Stather, Staatssekretär im Entwicklungs-hilfe-Ministerium, das
weiterhin in Bonn den Hauptsitz hat. "Das geht auf Dauer nicht gut",
sagt er.
Gegenüber ein Symbol der Bonner Republik: Der ovale
Zeitungs-kiosk. Das einst internationale Presse-Angebot ist
zusammengeschnurrt. Doch der Kiosk wird bleiben, denn der
Denkmalschützer hält seine Hand drauf.
Abends im "Sassella", dem einstigen Stamm-Italiener von Helmut
Kohl. Inzwischen muss man hier wieder reservieren. Am Nebentisch
eine Runde reiferer Herren. "Die neue Ministerin hat mir
geschrieben, sie hätte mich gerne behalten, aber ich sei ja nun
einmal politischer Beamter", erzählt einer, der das große Wort
führt. Nun pflegt er mit zehn- bis zwölftausend Mark im Monat seinen
Vorgarten.