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Ansichten eines Clowns In
Berlin-Mitte sind sie vergriffen, sogar ins Kanzleramt ging
ein Exemplar. Die Auflagenrekorde, die Dieter Bohlens
Memoiren erzielen, sind das Ergebnis einer perfekten
PR-Strategie
Von
Ralph
Geisenhanslüke
„Ich kann alle ihre Fragen mit
Nein beantworten", sagt Hans-Hermann Tiedje mit gewohnt
robuster Stimme. Der Medienmanager und ehemalige
Chefredakteur von „Bild“ berät mittlerweile hauptsächlich
Kunden aus Politik und Wirtschaft. Aber einer seiner
früheren Fälle hat in diesen Tagen eine Menge Schlagzeilen.
Ein Mann, so prominent, dass Tiedje sich jetzt, auf dem
Flughafen Düsseldorf gern ein paar Minuten Zeit am Handy
nimmt. Und weil er die Gesetze der Medienbranche kennt,
stellt er die Fragen gleich selbst. „Habe ich etwas mit
Dieter Bohlens Output zu tun? Nein. – Habe ich etwas mit dem
Buch zu tun? – Nein. Habe ich etwas mit den Geschichten zu
tun? Nein.“
„Die Geschichten“ – das ist der seit
einer Woche laufende PR-Feldzug, der die Memoiren des Dieter
Bohlen begleitet. „Bild“ und „Bild am Sonntag“ drucken vorab
Auszüge aus einem Buch, das die Gattin des
„Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann und Klatschreporterin,
Katja Kessler, geschrieben und im Heyne-Verlag
veröffentlicht hat, der ebenfalls zum Springer-Konzern
gehört.
Der intime Kontakt zu „Bild“ wurde 1996
hergestellt. Bohlen wollte sich von Verona Feldbusch trennen
und suchte Rat bei Tiedje, der Bohlen direkt an den
damaligen „Bild“-Chef Claus Larass weiterreichte. Seither
werden Bohlens Luder-Stories von „Bild“ bis in letzte
chirurgische Details ausgeleuchtet.
Ein ähnlich
symbiotisches Verhältnis pflegte das Blatt bislang wohl nur
mit Harald Juhnke. Aber schon nach fünf Tagen hat Tiedje
damals sein Mandat „wegen Nicht-Beratbarkeit des Klienten“
niedergelegt. „An der Kreativität dieses Mannes muss jeder
verzweifeln“, sagt er und fügt hinzu, wie sympathisch er
Bohlen noch immer finde.
Sympathie. Ein Wort, das in
diesen Tagen öfter in Zusammenhang mit Bohlen fällt. Wirkte
er nicht gelassen und souverän bei Kerner – und seine
Autorin Katja Kessler: Wirkte sie dagegen nicht ziemlich
nervös und aufgedonnert? Dieter Bohlen ist offenbar im
Herzen der einfache Junge aus Oldenburg geblieben, und er
gibt sich keine Mühe, das zu verbergen.
„Wenn du
Kohle hast, hast du irgendwann auch Frauen.“ So lautet eine
seiner Lebensweisheiten. Dieter spricht wie ein Malocher, er
ist einer von uns. Aber eben einer, der Dinge ausspricht,
die andere sich nicht trauen. Wenn Dieter in die Disse
kommt, wird zuerst „das Frauenmaterial sondiert“. Und wenn
Dieter sich die Sätze von Katja Kessler verbiegen lässt,
klingt das so: „Wie eine Maus tanzt, so schnackselt sie
auch“. Sätze, bei denen mancher Leser Netzhautablösung
bekommt. Wohl auch deshalb gibt es Bohlens Lebensbeichte als
5-CD-Box. Er habe, so verriet Bohlen bei Kerner, sein Buch
zum ersten Mal gelesen, als diese Aufnahme entstand. So
klingt es auch. Fast wie ein schüchterner Schüler, der im
Deutschunterricht einen Text vorlesen muss. Das verleiht
Bohlen ein nahezu menschliches Antlitz.
Trotzdem: Was
muss das für ein Gefühl sein, frühere Geliebte mit
peinlichen Beischlafdetails ans publizistische Messer zu
liefern, in der Post von anderen Menschen zu schnüffeln und
das auch noch auszuplaudern? Ist das nur Exhibtionismus,
oder ist Dieter Bohlens Buch Dokument eines psychosozialen
Zerfallsprozesses?
Ihm jedenfalls bereitet diese
Niedertracht sichtliches Vergnügen. „Auf so was steht ihr
doch“, scheint sein Grinsen zu sagen. Damit hat er Recht.
Selbst die Verkäufern an der Kasse bei Karstadt verdreht die
Augen, wenn man das Buch kauft. Aber sie hat natürlich alle
Folgen in „Bild“ gelesen.
In der
Parlamentsbuchhandlung in Berlin-Mitte war das Buch gestern
vergriffen. Das letzte Exemplar ging ans
Bundeskanzleramt.
Rund 250 000 Exemplare sind in den
ersten fünf Tagen über die Ladentische gegangen. Dieter
Bohlens Lebensgeschichte spielt in einer Auflagen-Liga mit
Harry Potter. Claudia Limmer vom Heyne- Verlag bewertet die
vergangene Bohlen-Woche als „klassische PR-Strategie“. „Die
TV-Auftritte, die Interviews – das Timing war entscheidend.
Daran haben wir hart gearbeitet, aber ohne den Magnetismus
von Bohlen hätte das nicht so funktioniert“.
Was
Harry Bohlen und sein Zauberstab erlebt haben – das
beschäftigt nicht nur Springers großes Bildungsorgan,
sondern auch alle, die in seinem Schatten schreiben. Selbst
die „FAZ“ rezensierte das Buch auf ihrer Sachbuchseite.
Wartet die Republik nun wirklich darauf, dass Naddel ab
morgen auf ihrer Internetseite (http://www.naddel.de/) verrät, was sich
hinter der Stahltür im Keller von Bohlens Villa
verbarg?
Am vergangenen Freitag gab Bohlen eine
Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse. Rund 150
Journalisten kamen, und eine Dreiviertelstunde wurde
herzlich gescherzt und gelacht. Es gab für Bohlen sogar
Szenen-Applaus. Während die meisten Geschichten aus der
People- Republik Deutschland vor biederem Schmus triefen,
gibt es bei Bohlen wenigstens Ecken und Kanten. Der Mann ist
wenigstens authentisch, sagen die Journalisten. Er macht uns
den Clown und kauft sich davon eventuell noch einen
Ferrari.
Wir müssen uns Dieter Bohlen vielleicht als
einen einsamen Menschen vorstellen. Mitleid haben wir mit
ihm so wenig, wie er selbst mit seinen Verflossenen. Dieter
Bohlen ist vermutlich die erste wirklich funktionierende
Ich-AG.
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